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Übergewicht: Hund und Mensch haben dafür ein gemeinsames Gen

Brauner Labrador leckt sich das Maul

Für die Veranlagung zu Übergewicht teilen sich Mensch und Hund ein Gen. Genauer gesagt: Labrador und Mensch. Zu diesem Ergebnis kommt eine im März 2025 im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichte englische Studie. Das fraglliche Gen hört auf den Namen DENND1B, was wir als Nicht-Genetiker getrost wieder vergessen können. Nicht aber die Sache an sich, denn die ist bemerkenswert. Hier gibt es Informationen dazu aus erster Hand: Dr. Eleanor Raffan, Autorin des nachfolgenden Artikels, ist eine der an Studie beteiligten Wissenschaftlerinnen.

Pippa liegt vor dem Ofen und nagt genüsslich an einem Kauknochen. Mit ihren 12 Wochen sieht sie unglaublich niedlich und völlig unbedarft aus. Doch sobald sie das Wort „Leckerli“ hört, ändert sich das schlagartig: Die Ohren gehen nach vorn und blitzschnell steht sie neben ihrer Besitzerin, guckt zuckersüß, macht Sitz und bellt sogar auf Kommando.

In unserer Studie haben wir untersucht, warum Gene einen so großen Einfluss darauf haben, ob ein Hund (oder Mensch) zu Übergewicht neigt oder nicht. Weil Labrador Retriever für ihre Verfressenheit bekannt sind, haben wir uns für die Studie auf diese Rasse beschränkt. Beim Menschen liegt die genetische Beteiligung am Übergewicht bei 40-70 Prozent. Der Rest wird durch den Lebensstil bestimmt.

Übergewicht Hund - ein erhebliches Gesundheitsrisiko
Übergewicht zählt inzwischen bei allen Hunden zu den größten Gesundheitsrisiken
(Foto: mapricor/ Pixabay)

Für die Untersuchung wurde DNA aus Speichelproben gewonnen, die uns von den an der Studie teilnehmenden Hundebesitzern zur Verfügung gestellt wurden. Mehr als zehn Jahre nach Eintreffen der ersten Speichelprobe sind die Ergebnisse der Studie eindeutig: Hunde teilen mit ihren menschlichen Besitzern nicht nur das Zuhause, sie teilen auch jene Gene, die an der Neigung zu Übergewicht beteiligt sind. Die fünf wichtigsten daran beteiligten Gene, die wir für den Labrador identifiziert haben, sorgen auch beim Menschen für die Neigung zu Übergewicht!

Solche Überschneidungen sind nicht überraschend: Sowohl Hunde als auch Menschen haben im Laufe der Evolution die Fähigkeit entwickelt, auf Schwankungen zwischen Nahrungsüberfluss und Nahrungsmangel sinnvoll zu reagieren. Bei beiden steuern neuronale Mechanismen im Gehirn sowohl Hunger als auch Sättigung und stellen dadurch sicher, dass der Nahrungsbedarf durch die Nahrungsaufnahme gedeckt wird. 

Obwohl wir die Einlagerung von Fett heute als problematisch empfinden, ist sie physiologisch sinnvoll: Fett ist eine Energiereserve auf die wir zurückgreifen können, wenn Nahrung knapp wird. Der zugrunde liegende Mechanismus wird durch Gene gesteuert – aber wie tun sie das?

Einengung von Genpools durch Zucht

Wildformen von Tierarten haben einen größeren Genpool (Gesamtheit aller Gene) als domestizierte Formen, besonders dann, wenn auf bestimmte Merkmale oder Eigenschaften hin gezüchtet wird. Indem wir bestimmte Merkmale fördern, gehen genetische Alternativen verloren. Das Genom verarmt. Das ist in der Rassezucht der Fall.

Die starke Selektion in der Hundezucht macht es uns verhältnismäßig leicht, Gene, die bestimmten Eigenschaften zugrunde liegen, zu identifizieren. Auch solche, die für die Neigung zu Übergewicht verantwortlich sind, denn durch gezielte Rassezucht kommt es zu typischen und daher gut erkennbaren DNA-Veränderungen.

Gene bestimmen mit, ob Labradore zu Übergewicht neigen
Nicht alle Labradore werden zwangsläufig dick. Genträger haben dafür eine besondere Veranlagung (Foto: Wilda3/Pixabay

Übergewicht – ein wachsendes Gesundheitsrisiko

Als Tierärztin weiß ich, dass Übergewicht ein großes Problem für viele meiner Patienten ist und wir haben die zugrunde liegenden Mechanismen um der Hundegesundheit willen untersucht. Hunde dienen uns dabei aber auch als Modellorganismen für den Menschen. 

Modellorganismus Hund

Modelorganismen sind nichtmenschliche Lebewesen, die vor allem der Erforschung menschlicher Krankheiten dienen, ohne dass dafür am Menschen direkt experimentiert werden muss. Die gewonnenen Erkenntnisse werden auf den Menschen übertragen. Meist geht es um Kleinsäuger (Mäuse oder Ratten). Auch Hunde können dafür herangezogen werden. So wie in dieser genetischen Studie.

Die Gene, die wir beim Labrador als entscheidend für die Entwicklung von Übergewicht identifiziert haben, entsprechen nicht den Genen, die beim Menschen ganz oben auf derListe stehen, wenn es um dessen Neigung zu Übergewicht geht. Aber sie sind daran beteiligt, wenn auch in geringerem Maße. Eigentlich standen sie nicht im Fokus unseres Interesses, aber die Ergebnisse beim Hund zeigten, dass sie grundsätzlich einen großen Effekt auf das Körpergewicht haben können. Darum haben wir sie untersucht.

Labradore haben eine genetische „Problemzone“

Das wichtigste Gen beim Labrador in diesem Zusammenhang heißt DENND1B. Labradore mit dieser genetischen „Problemzone“, sprich: Träger dieses Gens, hatten etwa acht Prozent mehr Fett als Rassegenossen, die nicht diese Genversion tragen. Beim Menschen ist die Auswirkung gering. Doch wie wir zeigen konnten, spielt DENND1B sowohl beim Menschen als auch beim Hund eine bislang unbekannte Rolle bei der Steuerung der Gewichtskontrolle durch das Gehirn. Neben DENND1B ist das Hormon Leptin daran beteiligt:

  • Leptin wird von den Fettzellen des Körpers produziert
  • Je mehr Fett, desto mehr Leptin
  • Leptin aktiviert im Gehirn die Melanocortin-Rezeptoren [Anm.d.Übers.: Melanocortin3 (MC3R) und Melanocortin4 (MC4R)-Rezeptoren]
  • Melanocortin reduziert den Hunger und erhöht den Energieverbrauch 

Dieses System sorgt für die Erhöhung der Nahrungsaufnahme bei Nahrungsdefizit und dafür, dass wir (und Hunde) die Nahrungsaufnahme verringern, wenn ausreichend Nahrungsreserven vorhanden sind. Will heißen: Sind ausreichend Fettreserven vorhanden, sinkt im gesunden Organismus unter dem Einfluss einer vermehrten Bindung von Melanocortin an die Rezeptoren das Hungergefühl.

Blonder Labradorwelpe kommt gelaufen
Zu Übergewicht neigende Hunde müssen von Anfang an verantwortungsbewusst gefüttert werden. (Foto: gynlime/Pixabay)

Mit unserer Forschung konnten wir nachweisen, dass DENND1B im Bereich der Melanocortin-Rezeptoren im Gehirn exprimiert wird und deren Aktivität verändert. Zwar ist noch vieles über die Bedeutung von DENND1B unbekannt, aber der Start ist vielversprechend. 

Was ist ein Rezeptor

Damit Körperzellen Nährstoffe überhaupt verwenden können, befinden sich auf der Zelloberfläche Rezeptoren. Es funktioniert nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip: Nur wenn der Schlüssel ins Schloss passt, öffnet sich die Tür. Übertragen auf die Zelle bedeutet das: Der Nährstoff ist der Schlüssel, der Rezeptor das Schloss. Nur wenn die Zelle auf ihrer Oberfläche über den richtigen Rezeptor verfügt, kann der dazu passende Nährstoff – in unserem Vergleich der Schlüssel – die Zelle öffnen und in die Zelle gelangen. 

Die Entdeckung eines Gens und seiner grundsätzlichen Bedeutung ist eine Sache. Herauszufinden, wie dieses Gen im Körper tatsächlich funktioniert, ist deutlich schwieriger. Melanocortin-Rezeptoren stehen bei der Entwicklung von Medikamenten zur Bekämpfung von Übergewicht nicht im Vordergrund. Einige von ihnen jedoch genau hier an. Die konkreten Zusammenhänge im Gehirn zu verstehen ist deshalb von großer Bedeutung. 

Manchen Hunden fehlt der genetische Appetitzügler

Ein weiteres Ziel unserer Studie war es herauszufinden, ob es bei Hunden einen Zusammenhang gibt zwischen einer großen Zahl genetischer Veränderungen und dem Risiko für Übergewicht oder auch einem verringerten Risiko dafür. In einer Fragebogen-Aktion baten wir Hundebesitzer, Appetit und Aktivitätsniveau ihrer Hunde zu bewerten und um Informationen zu den Fütterungsgewohnheiten. Das Ergebnis war eindeutig: Die genetische Determinante für die Entwicklung von Übergewicht war die Prädisposition (Veranlagung) für einen gesteigerten Appetit. Hunde mit hohem Risiko bettelten um Futter, durchwühlten Mülleimer nach Essbarem und aßen so ziemlich alles, was irgendwie essbar war. 

Blonder Labrador
Dem schmachtenden Blick brauner Hundeaugen zu widerstehen will gelernt sein
(Foto: Luis Rosero/Pixabay)

Gene machen Schlanksein für Hund und Halter zur Challenge

In unserer Studie hatten alle Hunde mit geringem genetischem Risiko, also mit normalem Appetit, ein gesundes Körpergewicht oder waren nur minimal übergewichtig. Was nicht an der Einschränkung der Futtermenge oder Förderung der Aktivität durch die Halter lag. 

Auch Hunde mit einem Risiko für Übergewicht können schlank gehalten werden. Aber es erfordert deutlich mehr Disziplin. Bei Hunden mit erhöhtem genetischem Risiko muss die Futtermenge streng begrenzt und verhindert werden, dass sich woanders bedienen. Und die Halter müssen lernen, dem herzerweichenden Blick großer brauner Augen zu widerstehen, der uns immer wieder signalisiert, dass alles Essbare eigentlich dem Hund gehört. Vielleicht der härteste Job in diesem Zusammenhang. 

Hier treffen sich Mensch und Hund. Wer als Mensch das Pech hat, zu jenen zu gehören, bei denen die Neigung zu Übergewicht genetisch angelegt ist, hat wie der Labrador  einfach mehr Appetit als Menschen, bei denen das nicht so ist. Das macht es schwieriger, auf Nachschlag und zusätzliche Mahlzeiten zu verzichten.  Schlanke Menschen haben nicht unbedingt eine bessere Essensmoral, sondern vielleicht einfach nur weniger Appetit. Sie brauchen deshalb weniger Willensstärke, wenn es darum geht, ein gesundes Gewicht zu halten. 

Sollten wir also  versuchen, die „Übergewicht-Gene“ des Hundes eliminieren? Nein, ganz sicher nicht. Der Grund dafür bringt uns zurück zu Pippa und ihre Fixierung auf Leckerlis. Blindenführhunde, die an unserer Studie teilnahmen, hatten ein besonders hohes Risiko für Übergewicht. Höher als das reiner Familien-Labradore. Assistenzhunde sind die Elite unter den Hunden und das führt uns zu der möglichen Erklärung, warum das Betteln bei Labradoren so fest ins Genom eingraviert ist: „Ich liebe diese Hunde,“ sagt Blindenhund-Besitzer Chris, „weil sie so einfach zu trainieren sind – sie machen einfach alles für ein Leckerli.“

Sie suchen eine unabhängige Futterberatung? Sie brauchen Rat beim Gewichtsmanagement Ihres Hundes? Vielleicht gibt es einen unserer Hundegesundheitsberater in Ihrer Nähe?

Die Autorin

Die Autorin Dr. Eleanor Raffan  ist University Assistant Professor in Systems Physiology an der Universität Cambridge und Mitautorin der Studie.

Quellenangabe:

The Conversation vom 6.3.2025.

Der Artikel erschien in englischer Sprache. Abddruck und Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der online Zeitschrift The Conversation. Übersetzung: Patricia Lösche

Originalstudie

Natalie J. Wallis et al.: Canine genome-wide association study identifies DENND1B as an obesity gene in dogs and humans  (Science, 6.März 2025)

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