Das alte Pferd
Wie alle Lebewesen unterliegt auch das Pferd einem kontinuierlichen Alterungsprozess. Dieser ist von verschiedenen Umwelteinflüssen und natürlich von der genetischen Disposition abhängig. So werden Ponys und Kleinpferde häufig etwas älter als ein Großpferd.
Doch wann gilt ein Pferd als „alt“?
Ein Pferd kann heutzutage unter guten Bedingungen mit ausgewogener Fütterung, angemessener Bewegung, artgerechter Haltung und tierärztlicher oder therapeutischer Betreuung weit über 20 oder sogar über 30 Jahre alt werden.
Manche Tiere sind mit 20 noch so fit, dass sie so manch jüngerem Pferd in der körperlichen Leistung und der Belastbarkeit in nichts nachstehen. Andere Pferde haben schon in jungen Jahren deutliche Probleme mit dem Bewegungsapparat oder z.B. dem Organsystem.
Woran erkenne ich aber nun ein „altes“ Pferd, wenn das Alter allein nicht maßgeblich ist?
Zum Ersten gibt das äußere Erscheinungsbild des Pferdes Informationen über seinen Zustand.
Das Gesicht wirkt etwas eingefallener und über den Augen entstehen tiefere Gruben. Durch verschiedene Umstellungen im Stoffwechsel und im hormonellen System werden Fette an verschiedenen Bereichen abgebaut und es besteht möglicherweise an anderen Stellen vermehrtes Fettgewebe. Graue Haare im Bereich der Ohren, Augen, dem Maul und der Stirn vertiefen das Bild eines alten Pferdes.
Die Hautelastizität ist deutlich herabgesetzt und auch die Muskulatur verliert den jugendlichen Tonus und wirkt weicher und schlaffer. Dadurch hängt die Unterlippe des Pferdes etwas, die Bauchmuskulatur wird den Kampf gegen die Schwerkraft verlieren und das Pferd wird etwas bauchiger aussehen. Die Bauchmuskulatur ergänzt und unterstützt die Rücken- und Rumpfmuskulatur bei der Bewegung und Haltung. Die Aufwölbung des Rückens ist maßgeblich von der Arbeit einer gut trainierten Bauchmuskulatur abhängig. Kann diese ihre Aufgabe nun nicht mehr optimal ausführen, wird der Rücken in eine Überstreckung fallen und der sogenannte „Senkrücken“ entsteht.
Durch diese Statikveränderung im Körper und den weiteren Abnutzungserscheinungen, die dem Zahn der Zeit geschuldet sind, kann das Muskelkorsett die Gelenke und Bänder nicht optimal entlasten, und es entstehen weitere fortschreitende Problematiken, die alle Gewebsschichten des Körpers betreffen können. Der Körper verliert seine Widerstandskraft und seine Kompensationsmöglichkeiten.
Langsames oder Schwierigkeiten beim Fressen und schlechterer Appetit können auf eine Zahnproblematik hinweisen. Eine regelmäßige Zahnprophylaxe und die Pflege des Pferdegebisses sind daher Pflichtprogramm für jeden Pferdehalter.
Zeigt ein Pferd Probleme beim Fressen oder verliert es deutlich an Gewicht, müssen als Erstes die Zähne angesehen werden. Sie können durch die Abnutzung scharfe Haken und Kanten aufweisen, die dann beim Fressen zu schmerzhaften Verletzungen im Maul führen. Dazu gibt es speziell ausgebildete Pferdedentisten, die mit speziellen Zahnwerkzeugen das Pferdegebiss auf Vordermann bringen.
Mit fortschreitendem Alter werden die Zähne auch soweit abgerieben, dass nur noch kleine Stummel übrigbleiben oder komplett ausfallen. Ein Pferd kann auch ganz ohne Zähne wunderbar weiterleben, allerdings muss die Fütterung entsprechend umgestellt werden. Das Futter sollte dann leicht zu kauen und gut zu schlucken sein. Es sollte frei von Staub sein, alle notwendigen Vitamine und Mineralstoffe enthalten, leicht verdaulich sein und einen hohen Faser- und Proteinanteil besitzen. Sollte ein Pferd zu wenig trinken, kann das Futter eingeweicht werden, um so die Flüssigkeitsmenge auszugleichen. Verschiedene Futtermittelanbieter haben ihre Produktpalette mittlerweile auf die Ernährungsbedürfnisse eines Seniors erweitert und bieten optimale Futtermixe und Zusätze, die dem Pferd im Alter helfen und optimal auf die Bedürfnisse abgestimmt sind.
Wie schon erwähnt, braucht der Bewegungsapparat ein ganz speziell abgestimmtes Training, um dem vermehrten Muskelabbau vorzubeugen. Regelmäßige und angepasste Bewegung ist das A und O beim Seniorpferd. Auch wenn ältere Pferde zu Arthrosen neigen, die die Bewegung schmerzhaft werden lässt, sollten sie weiter bewegt werden. Das Pferd braucht etwas Zeit, um sich „einzulaufen“, aber es wird über die Bewegung geschmeidiger und lockerer und sich während und auch nach der Bewegung deutlich besser fühlen. Kaltes und nasses Wetter kann die Symptome einer Arthrose verschlimmern, daher sollte auf eine trockene und windgeschützte Unterbringung geachtet werden, in der das Pferd sich zurückziehen kann und den Witterungsverhältnissen nicht ungeschützt ausgeliefert ist.
Sommerhitze und lästige Parasiten setzten dem Rentner zu und können Stress und Unbehagen verursachen. Eine Unterstellmöglichkeit, die genug Schatten bietet, eine Fliegendecke und möglicherweise eine Fliegengesichtsmaske werden dem Pferd das Leben einfacher machen und vor schmerzhaften Stichen und Augenentzündungen schützen.
Längere Spaziergänge im Schritt oder im leichten Trab werden dem Senior bestimmt gefallen. Zudem kann das Führen am Fahrrad geübt werden und bietet eine gute Alternative, wenn man das Pferd nicht mehr reiten kann oder möchte. Das Laufen auf verschiedenen Böden stärkt den Bewegungsapparat und verbessert auch die Trittsicherheit des Pferdes.
Empfindet das Pferd starke Schmerzen, kann eine ideal auf das Pferd abgestimmte Schmerztherapie durch den behandelnden Tierarzt den Allgemeinzustand deutlich verbessern. Das ist absolut notwendig, da das Pferd durch Schmerzen in eine Schonhaltung fällt, die den Zustand auf Dauer noch verschlechtert. Eine physiotherapeutische, chiropraktische oder osteopathische Behandlung kann dem Pferd helfen, seine Beweglichkeit zu erhalten und ein langes und weitgehend schmerzfreies Leben zu führen.
Bitte kontrollieren Sie regelmäßig, wie es Ihrem Tier geht. Seien Sie einfühlsam und sensibel, um Veränderungen an Ihrem Tier zu erkennen.
Stellen Sie es nicht auf das „Abstellgleis“, denn ältere Pferde können sich vielleicht nicht mehr so schnell bewegen
, aber dafür haben diese Pferde einen reichen Erfahrungsschatz, sind sicher im Gelände und haben mit uns schon so manche Hürde im Leben genommen. Sie standen uns immer zur Seite, egal ob wir traurig waren oder mal schlechte Laune hatten. Unsere jetzigen Senioren haben uns jahrelang getragen und wunderschöne Momente geschenkt.
Irgendwann ist es Zeit, etwas zurückzugeben, vielleicht nicht mehr auf dem Pferderücken z
u sitzen, sondern einfach mal neben dem Pferd herzugehen und uns damit auf Augenhöhe
mit ihm zu begeben. Es ist Zeit, einfach mal Danke zu sagen, und unseren Freund oder unsere Freundin auf den letzten Wegen so gut und emphatisch wie möglich zu begleiten. Das Glück der Erde liegt eben nicht nur auf dem Rücken der Pferde…