Der Urin tropfte durch die Decke!
Das Ordnungsamt wurde auf den Fall aufmerksam, als der Katzenurin bereits durch das Mauerwerk des Mehrfamilienhauses sickerte.Immer wieder werden Behörden und Tierschutzvereine auf ein zunehmendes Phänomen aufmerksam: das „Animal Hoarding“.
Bei diesem extremen Fall vor einigen Jahren in Norddeutschland wurden neben vielen toten Katzen 134 Tiere in einer Einzimmerwohnung sichergestellt, weitere 30 Tiere fanden sich im Keller und die fünf Elterntiere aller Katzen lebten in Kartons im Auto des Halters.
Was ist Animal Hoarding?
Wikipedia definiert den Begriff „Animal Hoarding“ folgendermaßen:
„Tierhortung (auch: Tiersammelsucht, engl. animal hoarding) ist das krankhafte Sammeln und Halten von Tieren. Als Animal Hoarder oder Tierhorter werden Personen bezeichnet, die eine Vielzahl von Tieren auf engem Raum halten, ohne die Mindestanforderungen an Nahrung, Hygiene und/oder tierärztlicher Versorgung gewährleisten zu können. Betroffene Personen sind nicht mehr in der Lage, auf die Haltungsmängel und die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der eigenen Person oder der Haushaltsmitglieder zu reagieren.“
Der Deutsche Tierhilfe Verband e.V. beobachtet in den letzten Jahren eine Zunahme der Fälle von Animal Hoarding in Deutschland. Michael Freitag, Sprecher des Verbandes, berichtete: „Den Betroffenen gelingt es häufig, sich über lange Zeit unauffällig zu verhalten. Wird der Druck von Nachbarn oder Behörden zu hoch, ziehen sie um. Öffentlich werden solche Fälle erst, wenn das Leid der Tiere unübersehbar ist. Die Betroffenen zeigen jedoch auch dann keine Einsicht, halten sich vielmehr für Tierfreunde oder sogar Tierschützer.“
Allgemeine Grundeigenschaften der Tierhortung:
- Das Unterschreiten der Mindestanforderungen an Hygiene, Platz, Ernährung und tierärztlicher Versorgung für die Tiere.
- Die Unfähigkeit zu erkennen, welche Auswirkungen dieser Mangel auf die Tiergesundheit, die Haushaltsmitglieder und die Umwelt hat.
- Der verzweifelte Versuch, die Tieransammlung aufrechtzuerhalten oder gar auszubauen, trotz sich zunehmend verschlechternder Bedingungen.
- Die Leugnung oder Bagatellisierung der Probleme für die Tiere und gegebenenfalls auch für die Menschen im Haushalt.
Die Halter sind nicht in der Lage zu erkennen, dass es den Tieren in ihrer Obhut schlecht geht. In diesen Fällen brauchen sowohl die Tiere als auch die Menschen dringend Hilfe, denn angesichts der großen Anzahl an Tieren, die sie halten, sind die Halter schnell überfordert. Allerdings leugnen die Halter die Probleme, nehmen diese nicht wahr und ziehen sich immer weiter aus der Gesellschaft zurück.
Die Folgen sind kranke oder verletzte Tiere, die nicht tierärztlich behandelt werden. In vielen Fällen gibt es weder ausreichend Nahrung oder Wasser und die Tiere leben unter extremen Haltungsbedingungen. Eine Befragung deutscher Veterinärämter ergab, dass die Tiere in 60 % der untersuchten Fälle krank waren, über 27 % wiesen Verletzungen auf, die Hälfte der Tiere hatte Parasiten, über 40 % waren unterernährt, in fast jeder dritten auffälligen Tierhaltung waren tote Tiere auffindbar, in über 40 % der Fälle mussten Tiere eingeschläfert werden (Quelle: Peta).
Darüber hinaus lassen die meisten Tiersammler ihre Tiere nicht kastrieren, weder haben sie die finanziellen Möglichkeiten, noch sehen sie die Notwendigkeit, sodass eine unkontrollierte Vermehrung das Elend noch weiter verschlimmert. In den meisten Fällen wurden noch tragende Tiere vorgefunden. Immer schneller wächst die Überforderung der Halter, und das Elend der Tiere ist kaum zu beschreiben.
Aber auch die Verelendung des Menschen nimmt immer mehr zu. Je mehr Tiere im Haushalt leben, desto isolierter und kontaktärmer lebt der Tierhalter. Die Wohnung verwahrlost, die eigene Versorgung sowie die der Tiere wird immer mehr eingeschränkt. Nun können nur noch die Behörden einschreiten, die alle Tiere beschlagnahmen und in kompetente Obhut geben. Ein Tierhalteverbot kann langfristig nur befolgt werden, wenn der Tierhalter ärztliche Hilfe erfährt und diese auch annimmt.
„Tierhorter“ werden grob in vier Kategorien eingeteilt:
Der überforderte Pfleger
Hier handelt es sich häufig um Menschen mit persönlichen Problemen (z.B. Arbeitsplatz-, Partnerverlust). Dabei werden passiv Tiere angesammelt, die sie als Partnerersatz ansehen werden. Die daraus resultierenden Probleme werden zwar erkannt und nicht ignoriert, aber bagatellisiert. Das Auftreten gegenüber Behörden ist häufig einsichtig und kooperativ.
Der Rettertyp
Das aktive Sammeln von Tieren kann zu einer Zwangsstörung werden. Der Rettertyp ist sozial nicht isoliert und zeigt gegenüber Behörden ein abweisendes, verschleierndes Verhalten.
Der Züchtertyp
Das zunächst nur für den Verkauf oder für Ausstellungen angelegte Züchten von Tieren macht durch die explodierende Anzahl keine adäquate Haltung mehr möglich. Durch die Haltung der Tiere außerhalb der Wohnungen ist das Leben der Halter nicht beeinträchtigt. Moderate Einsicht für entstehende Probleme.
Der Ausbeutertyp
Hier dient das Sammeln von Tieren zur Befriedigung eigener Bedürfnisse. Es besteht kein Empfinden von Empathie für Tiere oder Menschen. Der Ausbeutertyp leidet an einer Persönlichkeitsstörung oder ist Soziopath. Er hat einen extremen Kontrollzwang und hält sich für einen Experten. Auftretende Probleme werden nicht erkannt oder ignoriert. Der Ausbeutertyp erhält sich gegenüber Behörden stark ablehnend.
Darüber hinaus wird der beginnende Horter beschrieben:
Entgleisung einer Tierhaltung und damit einer plötzlichen Verschlechterung der Zustände trotz einiger Versuche, Mängel aktiv abzustellen.
Nach Einschätzung von Amtstierärzten sind der Rettertyp und der Typ des übertriebenen Pflegers mit je 40 % am häufigsten vertreten. Der Züchtertyp in 35 % und der Ausbeutertyp in 13 % der Fälle.
Die primäre Intention des Tierhorters besteht nicht darin, dem Tier Schaden zuzufügen, sondern ist der Wahrnehmungsverlust gegenüber den sich verschlechternden Bedingungen, die das Leiden für die Tiere hervorruft.
Welche Erklärungsmodelle sind vorhanden und welche Maßnahmen werden ergriffen?
Die Forschung zu dem Phänomen des „Animal Hoarding“ steckt noch in den Kinderschuhen.
Es sind durchaus Parallelen zum Sammeln unbelebter Objekte (Messie-Syndrom) und zum Vermüllungssyndrom (Diogenes-Syndrom) vorhanden. Da ein Teil der Tierhorter die Tiere als Familienmitglieder betrachtet, unterscheidet diese enge Bindung – teilweise gepaart mit dem missionarischen Retterdrang – den Tierhorter deutlich von einem Messie.
Die Erforschung psychologischer und soziologischer Aspekte des Phänomens Tierhortung sowie seiner Häufigkeit und nicht zuletzt die Ausarbeitung von Handlungsstrategien wird seit einigen Jahren betrieben. So wurde 1997 in Massachusetts das Hoarding of Animals Research Consortium (HARC) gegründet. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe zur Tierhortung besteht ebenso von der Akademie für Tierschutz des Deutschen Tierschutzbundes seit 2008.
Welche Maßnahmen können und dürfen Sie in so einem Fall ergreifen?
Sollten Sie auf einen Fall von Tierhortung aufmerksam gemacht werden oder erleben Sie einen Missstand, wenden Sie sich bitte in erster Linie an das nächste Tierheim, das Ordnungsamt (in Vertretung die Polizei), den zuständigen Amtstierarzt oder an das für Sie zuständige Veterinäramt. Greifen Sie nicht direkt ein!
Zurück zu dem o.a. Katzenfall:
Die Tiere wurden auf Tierheime des Deutschen Tierschutzbundes verteilt und konnten nach intensiver medizinischer Behandlung, Kastration und teils wochen- bis monatelanger professionaler Betreuung in Privathaushalte abgegeben werden. Erstaunlicherweise zeigten nur vier Tiere dieser Gruppe bleibende Verhaltensauffälligkeiten wie Unsauberkeit.