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Hunde: Pro & Contra Kastration

Die Entscheidung, ob ein Hund kastriert wird oder nicht, muss der Halter selbst treffen. Meistens wird bei dieser Frage der Tiertrainer oder der Tierarzt zu Rate gezogen.

Eine pauschale Antwort auf die Frage “Kastration ja oder nein?” wird man nicht sicher geben können. Dies hängt stark von dem jeweiligen Hundetyp und den Gegebenheiten ab. Wichtig ist, dass der Hundehalter alle möglichen Informationen zu den Vor- und Nachteilen eines Eingriffes und auch über die Alternativmöglichkeiten erhält. Denn gut informiert kann man auch die Entscheidung sicherer treffen. Dieser Artikel soll dem Halter als Leitfaden dienen, der auch die Meinung von Wissenschaftlern (Biologen, Medizinern) über Chancen und Risiken der Kastration mit einbindet.

Folgende Möglichkeiten stehen zur Entscheidung:

Frühkastration

Leider wird von vielen Tierärzten und Hundetrainern zur Frühkastration vor dem Höhepunkt der Pubertät geraten. Erklärung: geschlechtsspezifische Verhaltensweisen sollen so erst gar nicht erlernt werden. Der Slogan „Sexualhormone weg, Pubertät weg, Probleme weg“ ist jedoch zu einfach, um wahr sein zu können. Keine Kastration ersetzt den notwendigen Gehorsams- und Beziehungsaufbau.

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Abb.1: Chicco, 4 Jahre, wurde erst im Alter von 3 Jahren kastriert.

Dr. Udo Gansloßer, Privatdozent für Zoologie an der Universität Greifswald, hält nichts davon, Hunde vor dem Höhepunkt der Pubertät kastrieren zu lassen: „In dieser Zeit eine ganz wichtige Komponente des Hormonhaushalts aus dem Hund herauszunehmen, kann in der Regel nur zu Chaos führen. Die Erfahrungen der Hundehalter und Hundetrainer zeigen, dass wir dabei überwiegend Kindsköpfe bekommen, Hunde, die keinen Sinn für den Ernst des Lebens und damit auch keine sinnvolle weitere planbare Ausbildungs- und Erziehungsmöglichkeit mehr haben.“

Wer will schon einen für immer juvenilen Hund an seiner Seite haben, der nur noch spielen, spielen, spielen im Kopf hat? Na, dann fällt die Entscheidung umso leichter. Leider gibt es zurzeit noch keine aussagekräftigen Studien zu den Auswirkungen der Frühkastration auf das Verhalten der Hunde.

Nachteile / mögliche körperliche Nebenwirkungen der Frühkastration

Die Frühkastration kann langfristig verschiedene biologische Nebenwirkungen nach sich ziehen:

  • Wachstumsstörungen oder -verzögerungen: Durch den Hormonschub in der Pubertät wird das Längenwachstum der langen Röhrenknochen abgeschlossen. Befinden sich die entsprechenden Hormone in einem frühen Entwicklungsstadium in zu geringer Menge im Stoffwechsel, kann es, je nach Rasse, zu Größenwachstum oder Kümmerwachstum kommen.
  • Anfälligkeit für Skeletterkrankungen: Durch den Mangel des Sexualhormons Testosteron werden beim Rüden die Muskeln schwächer ausgebildet. Infolgedessen wird das Bindegewebe stärker beansprucht, was die Anfälligkeit für Erkrankungen des Bewegungsapparates erhöhen kann. Bei Hündinnen kann es (auch bei Kastration nach der Pubertät) zu Mineralstoffwechselstörungen bis hin zu Knochenveränderungen kommen. Einer Studie zufolge erkranken kastrierte Hunde beiderlei Geschlechts häufiger an Knochenkrebs als unkastrierte, wobei das Erkrankungsrisiko aber sehr gering ist.

Kastration als Prophylaxe bei Hündinnen

Häufig wird geraten, Hündinnen vor der ersten Läufigkeit kastrieren zu lassen, um Gesäugetumoren vorzubeugen. Unterschiedlichen Studien zufolge erkranken – je nach Alter und Rasse – zwischen 2 von 1.000 und 2 von 100 Hündinnen an solchen Mammatumoren. Wird vor der ersten Läufigkeit kastriert, sinkt das eh schon geringe Erkrankungsrisiko verschiedenen Studien zufolge gegen Null. Etwa die Hälfte der Tumore ist bösartig, 75 Prozent der Hündinnen überleben eine solche Operation. Je früher ein Mammatumor erkannt wird, desto besser. Deshalb sollte das Gesäuge wöchentlich auf Knoten untersucht werden, auch bei kastrierten Hündinnen.

Ist ein Erkrankungsrisiko ein Argument für die Kastration?

Dr. Axel Wehrend von der veterinärmedizinischen Universität Gießen gibt zu bedenken: „Im Gegensatz zur präpubertären Kastration ist der Ansatz, über die Ernährung eine Prävention zu betreiben, weder in der veterinärmedizinischen noch in der von Hundehaltern geführten Diskussion zu diesem Thema zu hören. Dies erstaunt, da im Gegensatz zur Kastration keine unerwünschten Effekte wie Harninkontinenz und Unterentwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale zu erwarten sind.“

Vielen anderen Autoren zufolge konnte in einer Reihe von Studien nachgewiesen werden, dass eine fett- und eiweißreiche Ernährung beziehungsweise Übergewicht im ersten Lebensjahr zur Bildung von Mammatumoren führen können.

Als Vorteil einer Kastration der Hündin wird oft die Verhinderung von Gebärmutterentzündungen und lebensgefährlichen Gebärmuttervereiterungen genannt. Denn wenn einer Hündin bei der Kastration nicht nur Eierstöcke, sondern auch die Gebärmutter entfernt wird, kann sich die Gebärmutter nicht mehr entzünden.

Unterschiedlichen Studien zufolge erkrankt jede fünfte bis zehnte Hündin im Laufe ihres Lebens an einer Gebärmutterentzündung, wie viele daran sterben, ist unbekannt. Bei unkastrierten Hündinnen ist es wichtig, auf frühe Alarmzeichen zu achten. Wenn die Hündin dauernd Durst hat, oder sie sich öfter leckt, sollte ein Tierarzt aufgesucht werden. Ein spätes Alarmzeichen ist ein dicker werdender Bauch bei geringer Nahrungsaufnahme.

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Abb. 2: Trixie, 18 Wochen: Sie darf ohne Kastration erwachsen werden.

Kastration als Prophylaxe bei Rüden

Über hormonell beeinflusste Erkrankungen beim Rüden redet kaum jemand, obwohl es solche durchaus gibt. Wenn Rüden aufgrund einer medizinischen Indikation kastriert werden, dann meist wegen chronischer Vorhautentzündung. Sie verschwindet nach einer Kastration. Dabei ist vorher zu bedenken, wie stark die Beschwerden sind und mit welchen Nebenwirkungen nach einer Kastration zu rechnen ist.

Sterilisation / Alternative zur Kastration beim Rüden

Wenn es nur um Verhütung geht, kann auch eine Sterilisation helfen. Bei dieser Methode werden die Keimdrüsen – beim Rüden die Hoden – nicht entfernt, sondern es werden nur die Leiter durchtrennt oder abgebunden, womit die Fortpflanzungsfähigkeit der Tiere dauerhaft und verlässlich unterbunden wird. Der Hormonhaushalt und die damit verbundenen Körperfunktionen und Verhaltensweisen werden nicht beeinträchtigt. Solange es nur um die Verhütung geht und nichts sonst für eine Kastration spricht, ist eine Sterilisation sinnvoller, denn sie hat keine Nebenwirkungen, und das Operationsrisiko ist auch nicht höher als bei der Kastration.

Chemische Kastration als Entscheidungshilfe

Der Kastrations-Chip ist eine denkbare Alternative, die auch als Entscheidungshilfe vor einer in Erwägung gezogenen Kastration gern gewählt wird.

Seit einiger Zeit ist für Rüden ein Medikament zugelassen, das wie ein Kennzeichnungs-Transponder unter die Haut implantiert wird. Der Verhütungschip enthält einen synthetisierten, aber mit einem körpereigenen Stoff identischen Wirkstoff, der die Bildung von Testosteron und damit die Bildung von Samenzellen schrittweise reduziert, bis der Rüde nach circa vier bis sechs Wochen fortpflanzungsunfähig ist. Es wird unterschieden zwischen Transpondern, die mindestens sechs Monate wirken, und solchen, die 1 Jahr in ihrer sterilisierenden Wirkung anhalten. Die Kosten belaufen sich auf 60 bis 90 Euro.

Die chemische Kastration ist ein gutes Mittel, um herauszufinden, ob unerwünschte Verhaltensweisen mit dem Testosteronspiegel des Tieres zusammenhängen, also verschwänden, wenn der Rüde kastriert würde. Das Verfahren wird schon seit Jahren bei Wildtieren angewendet. Lt. Aussage von Dr. Udo Gansloßer wird die chemische Kastration im Wildtierbereich erfolgreich und bislang auch ohne Langzeitnebenwirkungen durchgeführt.

Sterilisation / Alternativen zur Kastration bei der Hündin

Anders als beim Rüden ist sie eine weniger gute Alternative zur Kastration, da bei weiblichen Tieren die Operation (Durchtrennen der Eileiter) aufwendiger und mit größeren Risiken verbunden ist. Zudem kann hormonell beeinflussten Erkrankungen wie Gesäugetumoren mittels Sterilisation nicht vorgebeugt werden. Deshalb plädieren viele Tierärzte für Kastration statt Sterilisation.

Andere geben zu bedenken, dass es nicht die Aufgabe eines Mediziners sein kann, gesunde Organe zu entfernen, um Krankheiten vorzubeugen. Das Tierschutzgesetz verbietet die Amputation gesunder Organe zur Prophylaxe, außerdem gibt es schonendere Möglichkeiten, der Tumorbildung vorzubeugen.

Hormonspritze bei der Hündin

Das gezielte Unterdrücken der Läufigkeit durch eine Hormonspritze ist keine Alternative zu Sterilisation oder Kastration. Neuere statistische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Hormonspritze der größte Risikofaktor für die Bildung von Mammatumoren ist.

Natürliche Verhütung bei der Hündin

Im Gegensatz zu Rüden sind Hündinnen nur ein- bis zweimal im Jahr für wenige Tage fruchtbar, nämlich dann, wenn der Eisprung stattfindet. An diesen kritischen Tagen („Stehhitze“) müssen sie von Rüden ferngehalten werden. Die Blutung bei der Hündin kann sich über 14 – 24 Tagen erstrecken.

Wer seine Hündin gut beobachtet, kann die kritischen Tage gut erkennen. Die Hündin bietet sich dem Rüden an; die Rute wird dann bei Hundebegegnungen oft zur Seite gelegt. Zum Eisprung hin nimmt die Blutung ab, das Blut wird heller, außerdem schwillt die Scheide ab. Je näher der Eisprung ist, desto schneller klappt die Hündin die Rute zur Seite, auch wenn sie am Rutenansatz gekrault wird. Aber nicht jede Hündin muss so reagieren.

Zusammenfassung

Pro Kastration:

  • Neben medizinischen Indikationen – unter anderem Mammatumore oder schwere chronische Vorhautentzündungen gibt es auch Verhaltensauffälligkeiten, bei denen eine Kastration Abhilfe schafft:
  • bei Hündinnen, die ausschließlich während der Scheinschwangerschaft extrem aggressiv sind
  • bei aggressiven Rüden, wenn sich die Aggressionen ausschließlich gegen sexuelle Konkurrenten richten. Hierbei wäre es wichtig eine kompetente Meinung eines Tiertrainers/Verhaltenspsychologen zu Rate zu ziehen
  • bei hypersexualisierten Tieren, die nach einer Kastration endlich ein stressfreieres Leben führen können.

Bei der Mehrhundehaltung von Hunden verschiedenen Geschlechts kann statt einer Kastration auch die Sterilisation gewählt werden. Denn Stress im Gruppenverband können weder der Mensch noch seine Hunde gebrauchen.

Contra Kastration

Die Anzahl an bestimmten Erkrankungsrisiken lässt sich durch Kastration verringern, doch dafür sind auch Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen:

  • vermehrter Hunger und Gewichtszunahme nach der Kastration
  • Skeletterkrankungen bei frühkastrierten Hunden
  • Harninkontinenz, vor allem bei Hündinnen. Verschiedenen Studien zufolge tröpfeln zwischen 10 und 25 Prozent der kastrierten Hündinnen; einige große Rassen, wie beispielsweise Boxer sind besonders stark betroffen.
  • Kastration beeinflusst das Verhalten, wie stark,  ist schwer vorhersagbar. Es ist daher sehr wichtig, vorher abzuklären,  ob unerwünschtes Verhalten hormonell beeinflusst auftritt oder andere Ursachen hat.

Bei Hunden, die umweltunsicher und ängstlich sind oder sogar eine vermehrte Angstaggression zeigen, ist eine Kastration nicht zu empfehlen, weil sich die Aggression verstärken kann. Als Ursache wird vermutet, dass kastrierte Hunde nicht mehr nach erwachsenem Hund riechen, von Artgenossen nicht mehr ernst genommen, ja sogar gemobbt werden und dadurch noch unsicherer werden.

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Abb. 3: Diva Donna: Nach der Kastration im Alter von 1 Jahr nahmen die Ängstlichkeit und Geräuschempfindlichkeit der Hündin deutlich zu.

Gut zu beobachten bei nicht kastrierten Hündinnen ist, dass diese mit jeder Läufigkeit selbstsicherer und umweltstabiler werden.

Wichtig: Eine Kastration beeinflusst auch stark das Jagdverhalten des Hundes. Neueste Untersuchungen (Uni Gießen) zeigen, dass das Fehlen von Testosteron bei Rüden (nach der Kastration), ein verstärktes Appetenzverhalten in Sachen Beutemachen/Jagen nach sich zieht.

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Abb. 4: Theo, 5 Jahre: Nach der Kastration nahm seine Vorliebe für Kaninchen & Co. deutlich zu. Dummy- und Objektsuchtraining sorgen heute als Ersatzbeschäftigungen für Ausgleich.

Allgemeine Unruhe, Territorialaggressionen und Störungen in der Beziehung zwischen Hund und Halter unterliegen in seltensten Fällen dem Einfluss der Sexualhormone.

Viele Hundehalter bauen auf der Hoffnung, dass die sexuell motivierten Verhaltensweisen bei Rüden nach einer Kastration verschwinden. Aber der Duft der läufigen Hündin wird mit der Kastration aus dem Erinnerungsspeicher des Hundes nicht gelöscht! Wen wundert es da, wenn der Rüder immer noch der Nachbarshündin nachstellt, obwohl er kastriert ist? Wenn ein Hund aus Langeweile streunen geht oder gelernt hat, durch „Rammeln“ Spannungen abzubauen oder Lust zu empfinden, hört er damit  auch nach einer Kastration nicht auf.

Meine persönliche Empfehlung an die Hundehalter:

Lassen Sie Ihre junge Hündin mindestens zwei bis drei Läufigkeiten durchleben. Das macht sie stabil und lässt sie emotional reif werden. Der junge Rüde, je nachdem, wie stark Testosteron sein Verhalten steuert, kann im ersten Schritt den Kastrations-Chip bekommen, sodass Sie die Folgezeit für die Stabilisierung seiner Umwelttauglichkeit nutzen können. Nach dem Auslaufen der Chipwirkung können Sie immer noch entscheiden, ob es sinnvoll ist, ihn zu kastrieren.

Ein Beziehungs- und Gehorsamsaufbau mit dem passend (rassebezogen) ausgerichteten Auslastungstraining (Hirn & Körper) schweißt das Team Mensch & Hund zusammen und bildet so eine solide Basis für ein harmonisches Zusammenleben auch ohne Kastration.

Quellen
Vorträge von Dr. Udo Gansloßer, Frau Dr. Ute Blaschke-Berthold, Dr. Axel Wehrend, ATN- Lernmaterial, WDR Servicezeit Tiere, Sendung Tiere suchen ein Zuhause vom 13.12.2009

Autorin

Dorothea Gawol

Dorothea Gawol leitet seit 2008 ihre eigene Hundeschule „DG Hunde“ in Düsseldorf. Das Motto der ATN-Absolventin: Lernprozesse sind nur möglich, wenn wir uns die Zeit nehmen, unser Tun immer wieder zu hinterfragen und so neuen Ansätzen eine Chance zu geben. Ihre Homepage: www.dghunde.de.

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