Pferde richtig anweiden und Hufrehe verstehen
Frühling. Für die meisten Pferde beginnt jetzt die Weidesaison. Die Umstellung von vorwiegend Heu auf vorwiegend Gras ist eine Herausforderung für Verdauung. Zu schnelles Anweiden kann zu Koliken, Aufgasungen und Kotwasser führen. Vor allem aber – worst case scenario – zu Hufrehe.
Hauptgrund für die Entwicklung einer Hufrehe (Laminitis/Huflederhautentzündung) ist eine Dysbiose im Darm. Dysbiose bedeutet: Die bakterielle Besiedelung im Darm und das Darmmilieu geraten aus der Balance. Für eine reibungslose Verdauung ist das Pferd aber angewiesen auf ein bakterielles Gleichgewicht, weil die Bakterien und Einzeller, die den Darm physiologisch besiedeln, dafür sorgen, dass die im Futter enthaltenen Nährstoffe vom Körper überhaupt genutzt werden können (Bioverfügbarkeit).
Die Gesamtheit dieser Darmbewohner wird als Mikrobiom bezeichnet. Ohne sie geht nichts in Sachen Verdauung. Weder beim Pferd, noch beim Menschen oder anderen Säugetieren. Ein gesundes Mikrobiom ist angepasst an das zu verdauende Futter. Bei einer langsamen Futterumstellung verändert sich mikrobielle Zusammensetzung allmählich. Je nach dem, welche Bakterien für die Verdauung gebraucht werden, vermehren sie sich oder verringern sich in der Zahl. Das sichert eine an den Darminhalt angepasste Zusammensetzung. Darum sollten abrupte Wechsel im Futter wenn möglich generell vermieden werden, nicht nur beim Anweiden im Frühjahr.
Gut zu wissen: Fruktane
Fruktane sind Mehrfachzucker (Kohlenhydrate), die von Pflanzen gebildet werden, die Stärke als Energiespeicher nutzen. Die Gräser unserer Pferdekoppeln gehören dazu. Wenn es kalt ist, aber sonnig, nimmt das Gras mehr Energie auf, als es für sein Wachstum braucht. Diese wird besonders in Form von Fruktanen in die Pflanze eingelagert. Nicht nur das frische Gras, auch Heu, das in dieser Zeit geschnitten wird, also vor oder zu Beginn der Blüte, enthält besonders viel Fruktan. Auch später im Herbst, wenn die Nächte kühl, aber die Tage noch warm sind, in Zeiten großer Trockenheit oder bei dauerhaft kurz verbissener Grasnarbe speichert das Gras Energie vor allem in Form von Fruktan.
Richtig anweiden: Frühlingsgras enthält zu viele Kohlenhydrate
Frühlingsgras enthält überproportional viele Kohlenhydrate, vor allem Fruktane, die im Dickdarm des Pferdes verdaut werden müssen. Sie machen zum Zeitpunkt maximalen Frühlingswachstums bis zu 50 Prozent der Trockenmasse aus. Nimmt das Pferd mit dem Gras in kurzer Zeit sehr viel davon auf, können sie nicht ausreichend schnell verdaut werden. Im gewaltigen Blinddarm des Pferdes, der „Gärkammer“ des Darmes, fangen sie an zu gären. Milchsäure entsteht und der Darm übersäuert, die Verdauung gerät in Schieflage (Dysbiose).
Fäulnisbakterien fühlen sich in diesem Milieu sehr wohl und vermehren sich rasch. Andere hingegen sterben in Massen ab, weil sie die Ansäuerung nicht vertragen. Ihre Zerfallsprodukte werden für den Körper zu Giftstoffen, sogenannten Endotoxinen, die in den Hufen eine aseptische, das heißt durch körpereigene Prozesse verursachte Huflederhautentzündung auslösen können, die Hufrehe. Nicht die Fruktane selbst sind also die Übeltäter, sondern die Prozesse, die durch ein Zuviel davon ausgelöst werden und die Ausgewogenheit des Mikrobioms zerstören.
Gut zu wissen: Aufbau des Hufes
Von außen sichtbar ist die Hornkapsel. Ihr liegt innen die extrem gut durchblutete Huflederhaut an. Sie verbindet das knöcherne Hufbein und mit der Hornkapsel. Von unten gesehen schützt Sohlenhorn die inneren Strukturen. Ihm liegt innen die Sohlenlederhaut an, die hier die Verbindung zum Hufbein bildet.
Versorgungsengpass im Huf
Die Huflederhaut liegt zwischen Hornkapsel und Hufbein. Sie ist engmaschig durchzogen von feinen Blutgefäßen. Bei einer Hufrehe schwillt sie aufgrund der Entzündung an, oft sehr stark. Aber im Huf ist kein Platz für angeschwollenes Gewebe, weil die festen anatomischen Strukturen – Hornkapsel einerseits, Hufbein andererseits – nicht flexibel darauf reagieren können. Anders ausgedrückt: Im Gegensatz zur Haut kann sich ein Huf nicht einfach vergrößern, um der Schwellung Raum zu geben.
Die Folge: Druck baut sich auf, der Blutfluss wird gestört und der Huf nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt. Später kann man den Versorgungsengpass anhand typischer Reheringe regelrecht „ablesen“. Es sind deutlich erkennbare Wachstumsstörungen im Hufhorn.
Für das Pferd ist dieser Prozess extrem schmerzhaft. Es mag keinen Schritt mehr tun. Im Versuch, die Hufe zu entlasten, verlegt es sein Gewicht nach hinten. Die Lastenaufnahme erfolgt im Ballen- und Trachtenbereich der Hufe, die Hinterbeine werden womöglich so weit es geht unter den Bauch geschoben, wodurch die typische Sägebockhaltung entsteht. Viele Pferde liegen jetzt mehr als sonst. Dass ihnen bei derartigen Schmerzen auch auch die Lust am Fressen vergeht, versteht sich fast von selbst.
Die Laminitis muss unbedingt und unverzüglich behandelt werden. Sonst kann die Verbindung zwischen Hufkapsel und Huflederhaut reißen und das Pferd schuht aus: Die betroffenen Hufe – meist die Vorderhufe – verlieren ihre Hufkapsel. Oder aber das Hufbein rotiert im Huf nach unten (Hufbeinrotation) und kann im Extremfall durch die Hufsohle stoßen. Dann läuft das Pferd nicht mehr auf dem Huf, sondern auf dem Knochen. Qualvoll für das Pferd und In beiden Fällen bleibt am Ende meist nur noch das Einschläfern.
Symptome einer Hufrehe
Im Anfangsstadium sind die Symptome einer Hufrehe nicht besonders auffällig. Das Pferd gibt nur noch ungern die Hufe, lahmt wenig spezifisch, tritt etwas kürzer, geht klamm auf harten Böden und zeigt Wendeschmerz in engen Wendungen. Beim freien Stehen entlastet es hin und wieder die betroffenen Hufe durch Anheben. Sie können bereits etwas wärmer als sonst sein. Eventuell ist auch schon eine leichte Pulsation der Zehenarterie zu fühlen. Das ist tastbar an der Rückseite des Fesselkopfes, am oberen Rand in Gleichbeinhöhe.
Bei einem akuten Reheschub sind die Symptome dagegen eindeutig:
- plötzliche starke Lahmheit
- Verweigerung der Fortbewegung
- häufiges Ablegen
- Sägebockhaltung durch Stehen auf den Trachten
- Trachtenfußung
- heiße Hufe
- Pulsation der Zehenarterie deutlich spürbar
- Schmerzgesicht
Je früher die Behandlung einsetzt, desto größer die Chance, dass das Pferd nach dem Abklingen der Hufrehe wieder normal reitbar sein wird. Die Struktur betroffener Hufe bleibt jedoch anfällig für weitere Schübe, die durch angepasstes Fütterungsmanagement unbedingt vermieden werden müssen. Bei chronischer Hufrehe kann das Pferd unreitbar werden – von den Schmerzen, unter denen es jedes Mal leidet, ganz abgesehen.
Pferde anweiden: So ist es korrekt
Wie oben beschrieben braucht das Mikrobiom zu Beginn der Weidesaison Zeit, um sich an die Verdauung von Gras anzupassen. Die Umstellung auf den Weidegang beginnt mit wenigen Minuten und wird dann im Laufe der nächsten zwei bis vier Wochen jeden Tag um eine weitere Viertelstunde verlängert. Auf diese Weise bekommt die Darmflora ausreichend Zeit, sich der neuen Situation anzupassen.
Das gilt allerdings nicht für Pferde, die bereits Reheschübe hinter sich haben. Für sie kann Weidegang unter Umständen nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt möglich sein, und das Fütterungsmanagement wird eine Herausforderung. Denn auch das Heu und andere Futtermittel (Obst, Brot, Kraftfutter) müssen sehr sorgfältig ausgesucht werden, damit ein Zuviel an Kohlenhydraten keinen erneuten Reheschub auslöst. Fachberatung ist hier für eine leistungsgerechte Futterzusammenstellung unbedingt notwendig. Pferde mit ganzjährigem Weidegang haben mit der Umstellung auf das Frühlingsgras normalerweise kein Problem, weil sie durch die allmähliche Veränderung der Vegetation ohnehin langsam erfolgt.