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Pferdeverhalten: Schmerz beim Pferd erkennen

Kolik und Schmerz sind wie zweieiige Zwillinge. Sie sehen sich nicht ähnlich, aber sie folgen direkt aufeinander und sind einander eng verbunden. Wenn es heiß ist, wie in diesem Sommer, werden Tierärzte oft zu Pferden gerufen, die eine Kolik zu haben scheinen. Tatsächlich leiden sie oft unter der Hitze und ihr Kreislauf stottert. Das ist zwar eine ernste Angelegenheit und nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, anders als eine Kolik aber nicht unbedingt schmerzhaft. Aber wie lässt sich das unterscheiden, wie erkennt man Schmerz bei einem Pferd? Tatsächlich steht er ihnen ins Gesicht geschrieben. Aber man muss schon genau hinsehen.

Schmerz und Kolik sind wie zweieiige Zwillinge. Sie sehen sich nicht ähnlich, aber sie folgen direkt aufeinander. Wenn es heiß ist, wie in diesem Sommer, werden Tierärzte häufig zu Pferden gerufen, die eine Kolik zu haben scheinen. Tatsächlich leiden sie oft unter der Hitze und ihr Kreislauf stottert. Das ist zwar eine ernste Angelegenheit und nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, anders als eine Kolik aber nicht unbedingt schmerzhaft. Aber wie lässt sich das unterscheiden, wie erkennt man Schmerz bei einem Pferd? Tatsächlich steht er ihnen ins Gesicht geschrieben. Aber man muss schon genau hinsehen.

Schmerz bei Pferden zu erkennen ist keine einfache Angelegenheit. Veränderungen im Bewegungsablauf oder Verhalten sind oft sehr subtil. Als Herden- und potentielle Beutetiere vermeiden Pferde eine deutliche Schmerzexpression, sie leiden still, wenn der Schmerz sie quält. Während Hund und Katze laut jaulen oder schreien, wenn ihnen Schmerz zufügt wird, haben Pferde noch nicht einmal einen speziellen Laut für Schmerzerfahrung. Das macht sie nicht weniger schmerzempfindlich, aber es machte bis vor nicht allzu langer Zeit die Schmerzdiagnose oft schwierig und aufwändig. Deshalb wurde die Horse Grimace Scale (HGS) entwickelt, eine schnelle und einfache Möglichkeit, Vorhandensein und Qualität von Schmerzen bei Pferden anhand des Gesichtsausdruckes zu ermitteln.

Schmerz – was ist das eigentlich?

Beim Schmerz wird unterschieden zwischen physiologischem und pathologischem Schmerz. Letzterer wird verursacht durch Gewebeschädigung und durch eine Hypersensibilisierung z.B. durch ein nach einer Schmerzerfahrung entstandenes Schmerzgedächtnis. Er ist unangemessen, ver- oder behindert eine vollständige Genesung oder macht den Körper sogar krank, z. B. durch eine dadurch bedingte Schonhaltung. Physiologischer Schmerz ist dagegen ein Schutzmechanismus des Körpers, der ihn vor gravierenderen Schäden bewahren soll, beispielsweise vor Überlastung verletzter Körperpartien. Treffen schädigende Einflüsse auf den Organismus (thermische wie Hitze und Kälte, chemische oder mechanische Reize), werden sie über spezielle Schmerzdetektoren (Nozizeptoren) durch das periphere Nervensystem (Nerven außerhalb von Rückenmark und Gehirn) an das Zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) weitergeleitet. Zunächst an das Rückenmark, wo die eingehenden Schmerzreize erstmalig auf ihre Bedeutung für den Organismus hin bewertet werden. Werden sie als schädigend erkannt, erfolgt die Weiterleitung der Information an das Gehirn. Schließlich wird der Schmerzreiz über diverse Rückkopplungsmechanismen und Verarbeitungsprozesse in körperliche Reaktionen übersetzt. Dazu gehört das Schmerzempfinden, die Wahrnehmung dessen, das dort etwas nicht in Ordnung ist. Je nach Entstehungsort ist es ein somatischer Schmerz (Oberflächenschmerz), der seinen Ursprung in Haut und Unterhautgewebe, den Muskeln oder Knochen hat (z.B. bei Erfrierungen, Wunden, Brüche). Oder es handelt sich um einen viszeralen Schmerz (Tiefenschmerz), dessen Ursache im Körperinneren liegt, beispielsweise bei Kolik, Lungenentzündung oder Magenschmerzen.

„In Europa werden Schätzungen zufolge jährlich 240 000 Hengste kastriert. (…) Die Kastration ist mit Schmerzen assoziiert, die mehrere Tage anhalten können und eine analgetische (Anm.: schmerzstillende) Therapie erfordern. Einer britischen Studie zufolge erhalten dennoch nur 36,9 Prozent der Pferde Analgetika für postoperative Schmerzen“, schrieb  2015 die  Zeitschrift „Praktischer Tierarzt“.

An der Schmerzursache allein ist die Stärke des vom Pferd empfundenen Schmerzes – medizinisch als Dolor bezeichnet – nicht festzumachen, denn wie Schmerzen wahrgenommen werden, hängt von eventuellen Vorerfahrungen und der grundsätzlichen Empfindlichkeit eines Tieres ab. Die sind – wie beim Menschen auch – immer individuell. Zwar lässt sich Schmerz auch labordiagnostisch (Blutparameter ), am Verhalten (etwa Lahmheit oder Unruhe) oder anhand körperlicher Untersuchungen (Atemfrequenz, Herzfrequenz) ermitteln, aber das dauert, ist oft aufwändig, damit auch teuer, und wird auch von anderen Faktoren als reinem Schmerz beeinflusst. Eine internationale Forschergruppe, zu der auch der bekannte deutsche Tierarzt und Pferdespezialist Dirk Lebelt gehörte, erarbeitete im Rahmen des EU-Forschungsprojektes „Animal Welfare Indicators (AWIN)“ ein 2014 veröffentlichtes Beurteilungsschema, das die Qualität von Schmerzen am Gesichtsausdruck misst, die Horse Grimace Scale (HGS).

Untersucht wurden dafür 40 Hengste unterschiedlichen Alters vor und nach der Kastration, deren Mimik mit derjenigen von unkastrierten Hengsten verglichen wurde. Beobachtet wurden die Veränderungen von

  • Ohren
  • Augenlidern
  • Augenumgebung
  • Kaumuskulatur
  • Maul
  • Nüstern

Das Ergebnis ist eine Skala der Schmerzanzeichen, wobei graduell unterschieden wird zwischen keine (0), leichte (1) und deutliche Schmerzmimik (2). Bei der Schmerzbeurteilung anhand der Mimik bewertet der Therapeut bzw. Tierarzt die einzelnen Merkmale mit der entsprechenden Bezifferung. Am Ende ergibt die Summe daraus einen Maßstab für die Stärke des Schmerzgeschehens und es kann anhand dessen sehr schnell entschieden werden, ob und in welchem Umfang eine begleitende Schmerztherapie beispielsweise nach einer Operation, bei Magenproblemen oder nach einer Verletzung notwendig ist oder nicht.

Auch für Pferdebesitzer ist es hilfreich zu erkennen, ob ein Pferd unter Schmerzen leidet. Bei starkem Schmerzgeschehen zeigt das Pferd:

  • steif nach hinten gerichtete Ohren
  • teilweise bis ganz geschlossene Augen
  • angepannte Muskulatur über den Augen
  • Hervortretende, angespannte Kaumuskulatur
  • angespannte Maulpartie mit hervortretendem Kinn
  • angespannte Nüstern bei abgeflachtem Nasenprofil

Bilder zur entsprechenden Mimik können unter diesem Link abgerufen werden. Der Begleittext ist zwar auf Englisch, aber da der jeweilige Schmerzgrad unter den Bildern angegeben ist, sprechen die Fotos für sich. Ebenfalls in englischer Sprache ist diese kostenlose Smartphone-App die über Google play heruntergeladen werden kann.

Originalpublikation

Emanuela Dalla Costa , Michela Minero, Dirk Lebelt, Diana Stucke, Elisabetta Canali, Matthew C. Leach: Development of the Horse Grimace Scale (HGS) as a Pain Assessment Tool in Horses Undergoing Routine Castration (March 19, 2014), https://doi.org/10.1371/journal.pone.0092281

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